Gänsegeier
Der Gänsegeier, auch bekannt als Europäischer Geier, ist ein majestätisches Tier, welches in den Hochgebirgen Europas beheimatet ist. Mit einer Spannweite von bis zu 3 Metern und einem Gewicht von bis zu 14 Kilogramm ist er einer der größten Greifvögel Europas. Trotz seines imposanten Erscheinungsbildes ist der Gänsegeier jedoch ein scheues Tier und wird daher oft nur selten gesichtet.
Der Gänsegeier gehört zu den Altweltaasgeiern und ist eng verwandt mit dem auch in Europa heimischen Mönchsgeier und dem Bartgeier. Sein Name leitet sich von seiner Vorliebe für Aas von Wasservögeln ab, welches er sich durch das Öffnen der Gefiederfedern am Hals und das Aufblähen des Kropfes auf unkonventionelle Weise beschafft - ein Verhalten, das ihm auch den Namen "Gänsegeier" eingebracht hat.
Das Gefieder des Gänsegeiers ist größtenteils dunkelgrau, jedoch sind die Flügel und der Schwanz weiß gefärbt, was ihm ein charakteristisches Aussehen verleiht. Auch sein Kopf ist größtenteils unbefedert und von einer dunklen Haut umgeben. Diesen Vögeln wird oft eine gruselige Erscheinung zugeschrieben, doch bei näherer Betrachtung fällt auf, dass sie trotz ihres scharfen Schnabels und ihrer kräftigen Krallen eher wenig gefährlich wirken.
Der Gänsegeier ist vorwiegend in den südeuropäischen Gebirgen zu finden, wie beispielsweise den Alpen, Pyrenäen oder Apenninen. Dort bevorzugt er trockene, felsige Gebiete, da er dort ideale Bedingungen für die Jagd und sein Nest vorfindet. Diese Nester werden oft in zerklüfteten Felswänden gebaut und bestehen aus Zweigen und Gräsern. Ein Geierpaar besetzt sein Nest ein Leben lang, doch oft kommt es vor, dass die Brut ausbleibt oder das Jungtier nicht überlebt, da die Gänsegeier relativ spät im Jahr brüten und die Nahrungsknappheit in den kalten Wintern für sie zu einer Herausforderung wird.
Der Gänsegeier ist ein opportunistischer Jäger und ernährt sich hauptsächlich von Aas. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er sich nur von dem frisst, was ihm andere Tiere übrig lassen. Im Gegenteil, die großartige Anpassungsfähigkeit dieses Vogels ermöglicht es ihm, auch selbstständig Nahrung zu finden. Beispielsweise knackt er Schalen von Schildkröten, um an das fettreiche Gewebe zu gelangen und macht vor großen Haustieren wie Schafen oder Ziegen nicht halt. Seine Hauptnahrungsquelle ist jedoch immer noch Aas, und oft sind es die Gänsegeier, die als erste am Fundort eines toten Tieres eintreffen und sich an den Überresten laben.
Da der Gänsegeier sich hauptsächlich von Aas ernährt, ist er ein unverzichtbarer Bestandteil des Ökosystems und erfüllt eine wichtige Aufgabe bei der Entsorgung von toten Tieren. Dies hat jedoch auch dazu geführt, dass der Gänsegeier von der Ausrottung bedroht war und in einigen europäischen Ländern bereits ausgestorben ist. Der steigende Einsatz von Agrargiften, die Vergiftung von Beutetieren und die Veränderung der Landschaft durch den Menschen haben dazu geführt, dass die Anzahl der Gänsegeier dramatisch abgenommen hat. Glücklicherweise gab es jedoch in den letzten Jahren verstärkte Schutzmaßnahmen und Wiederansiedlungsprojekte, die dazu beigetragen haben, den Bestand wieder zu stabilisieren.
Ein weiterer bedeutsamer Aspekt bei der Ökologie des Gänsegeiers ist seine Rolle bei der Verbreitung von Samen bestimmter Pflanzenarten. Da sein Verdauungstrakt robust genug ist, um Knochen und andere unverdauliche Teile seiner Nahrung zu zerkleinern, dient er als wichtiger Verbündeter bei der Ausbreitung von Bäumen und Sträuchern durch die Verbreitung ihrer Samen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Greifvögeln, die aufgrund ihres scharfen Sehvermögens jagen, hat der Gänsegeier ein eher schwaches Augenlicht und ist daher nicht in der Lage, aktiv nach Beutetieren zu suchen. Stattdessen nutzt er seine Sinne und beobachtet den Himmel, um die Bewegungen anderer Geier zu verfolgen. Diese Bewegungen deuten auf ein totes Tier hin, das von oben angegriffen und geöffnet wird. Dieser Form der Kommunikation ist der Gänsegeier sehr zugeneigt und seine Augen aus einem entfernten Himmelswinkel können oft auf eine spektakuläre Art und Weise zu einer "Geierparty" führen.
Der Gänsegeier ist auch dafür bekannt, dass er erst in einer Gruppe von mehreren Individuen jagt, anstatt alleine. So kann er zusammen mit seinen Artgenossen größere Aasquellen finden und sich vor Konkurrenten oder anderen Raubtieren schützen. Diese Gruppen, die auch als Geierkolonien bezeichnet werden, bestehen aus bis zu 20 Tieren und verbringen oft den Großteil ihres Lebens zusammen.
Die Paarungszeit des Gänsegeiers beginnt in der Regel im Frühling und ist oft von spektakulären Flugshows und tänzerischen Balzritualen begleitet. Dabei segeln die Gänsegeier zusammen in Kreisen, stoßen laute Rufe aus und lassen ihre weißen Federn glänzen, um sich gegenseitig zu beeindrucken. Nach der erfolgreichen Paarung legt das Weibchen ein einziges Ei, das von beiden Eltern abwechselnd bebrütet wird. Dieser Brutpflege widmen die Gänsegeier besonders viel Aufmerksamkeit, da es ihnen hilft, eine emotionale Bindung zu ihrem Jungtier aufzubauen.
Nach 50 bis 55 Tagen schlüpft das Küken aus dem Ei und wird von beiden Eltern gefüttert, beschützt und gepflegt. Nach etwa drei Monaten wird es flügge und verlässt dann mit seinen Eltern die Kolonie, um sich auf die Suche nach einem eigenen Territorium zu begeben. Die Geschlechtsreife erreicht der Gänsegeier ungefähr im Alter von 4-5 Jahren.
Insgesamt ist der Gänsegeier ein faszinierendes Tier, welches trotz seines Rufes als "Aasfresser" eine wichtige Rolle im Ökosystem spielt. Seine Anpassungsfähigkeit und spektakulären Flugvorführungen machen ihn zu einem beeindruckenden Teil der Tierwelt und es ist zu hoffen, dass die Schutzmaßnahmen weiterhin dazu beitragen, seinen Bestand zu erhalten, damit wir noch lange die Möglichkeit haben, diese majestätischen Vögel am Himmel zu beobachten.